Das Hörler Mädche in New York

Das Hörler Mädche in New York

SERIE Die Hinterländer Mountainbiker auf Spurensuche in den USA – Teil 6

„Ei gude wie, Hörler Mädche“: …

Montag, 15. September, Newark. Wir nutzen die frühe Stunde, um auf dem Weg zu unserem Apartment noch der Spur von Wilhelm Thomas und Mary Zerres nachzugehen, die aus Gönnern – Harry‘s Heimatort – 1909 nach Amerika ausgewandert waren. Mit reichlich Informationen von Günter Müller, einem Enkel von Mary Zerres versorgt, navigieren wir zur „Seated Lincoln Statue“.

Wir genießen die ersten Sonnenstrahlen des Tages und stellen die Szene vor dem Essex County Courthouse nach. Vor dem Gerichtsgebäude hatte 1913 Wilhelm Thomas für ein Foto posiert. Da sich der Gasthof, aus dem Wilhelm Thomas stammte, in nur 50 Meter Luftlinie von Harrys Wohnhaus in Gönnern befindet, liegt es natürlich nahe, dass er den Auswanderer aus dem Hinterland mimt.

Danach machen wird uns auf zur Dharma Home Suite in der 70 Greene Street, Yersey City. Noch wissen wir nicht, in welcher exponierten Lage sich unser preiswertes Apartment befindet. Fünf Tage New York liegen jetzt vor uns. Leider dürfen wir erst ab 15 Uhr unser feudales und am Hudson River strategisch hervorragend gelegenes Domizil in der 48. Etage beziehen.

Hier sind es zwar nur noch sechs Stunden Zeitverschiebung zu unserer Heimat, aber lediglich drei Stunden Schlaf im Flugzeug und die kalifornische Zeit hängen uns in den Knochen. Doch es hilft nichts, nach einem ausgiebigen Frühstück steht ein Projekthighlight auf dem Programm: das Hörler Mädche, besser bekannt als die Freiheitsstatue von New York.

Vor knapp zwei Jahren machte uns der Eschenburger Heimathistoriker Heinz Blöcher auf einen Artikel aufmerksam, der wesentlich dazu beitrug, dass wir uns bei dem Projektziel 2014 für die USA entschieden. Am 28. Oktober 1886 wurde die 46 Meter hohe, in Kupfer getriebene Freiheitsstatue auf einem 47 Meter hohen Steinsockel in New York enthüllt. Frédéric Auguste Bartholdi, der aus dem französischen Elsass stammte, war ihr berühmter Schöpfer.

Genau 100 Jahre später veröffentlichte die New Yorker Staatszeitung & Herold einen langen Bericht über die Geschichte des New Yorker Wahrzeichens, der wie folgt begann: „Wussten Sie schon, das die Vorfahren des Schöpfers der Freiheitsstatue aus der deutschen Heimat stammen?“ Doch Bartholdis Stammvater war nicht nur einfach Deutscher, Hesse oder gar Hinterländer. Nein. Besser: Seine aus Biedenkopf stammende Frau wurde in der gleichen Kirche der 800 Seelengemeinde Oberhörlen konfirmiert wie Jörg Krug. Und einige Jahre später wurde sie dort auch mit Barthold (die deutsche Namensversion) getraut, genau wie Uli Weigel 329 Jahre später.

Wie elektrisiert suchten wir nach diesen neuen Erkenntnissen nun nach Beweisen. Es sollte noch zwei mehr als 300 Jahre alte handschriftliche Eintragungen im Oberhörler Kirchenbuch geben. Und auch ein Grabstein im hessischen Krumbach sollte existieren. Die Fahrradziele für unsere nächsten sonntäglichen Recherchen in der Hinterländer Heimat standen fest. Und wir wurden auch Dank der Hilfe des Hörler Pfarrers Stefan Föste schnell fündig.

Klar, dass die Statue nun eines unserer Hauptziele in den Staaten war, und weil wir jetzt quasi mit dem großen „Mädche“ verwandt waren, hatten wir die Hoffnung, zumindest mit einem Rad in die Krone der Dame zu dürfen. Denn skurrile Fahrradabenteuer gehören zu unseren Projekten.

Doch monatelange intensive Versuche über die Konsulate, geschäftliche Kontakte und die Parkverwaltung, eine Sondergenehmigung zu erhalten, führen nicht zum Erfolg. Egal, jetzt sind wir vor Ort, steuern unsere Bikes zur Anlegestelle der Fähre nach Liberty Island und sehen schon von weitem mit Entsetzen die Hunderte Meter lange Besucherschlange.

Zwar haben wir genügend Geld für den Eintritt, aber nicht die Zeit, stundenlang anzustehen. Deshalb spricht Uli einen Ranger an und kämpft sich durch die Hierarchien. Mit Erfolg, denn zu unserer Überraschung weiß man schon von unserem Vorhaben: Ranger Jacob Shiflett führt uns vorbei an vielen neidischen Blicken und zudem kostenlos zur Fähre.

Sowohl auf der Fahrt zur Statue, wie auch beim Rundgang auf der Insel klären wir nicht ohne Stolz deutsche Touristen über unsere ganz besondere, ja eigentlich verwandtschaftliche, Beziehung zur Statue auf. Jenes amerikanische Freiheitssymbol, das alle, auch die deutschen Einwanderer, als erstes bei ihrer Ankunft in der „neuen Welt“ erblicken.

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