Auf Du und Du mit Legenden

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SERIE Die Hinterländer Mountainbiker auf Spurensuche in den USA – Teil 4

Freitag, 13. September, Fairfax. Heute wollen wir uns der Historie unseres Sports widmen. Kaum eine andere Sportart ist so jung und hat sich dennoch so rasant entwickelt wie der Mountainbike-Sport. Die Suche nach dem Ursprung des Mountainbike sollte ein Highlight werden.

Sicher ist es schwierig, auszumachen, wo der Ursprung des Mountainbikes zu finden ist, handelt es sich doch primär um ein geländegängiges Fahrrad. Das Puch Waffenrad zum Beispiel, mit dem bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Alpen erkundet wurde, passt ebenso zum Bild eines Ur-Mountainbikes wie etwa die robusten Fahrräder, mit denen die legendären „Buffalo Soldiers“ ebenfalls Ende des 19. Jahrhunderts eine Fahrrad-Kompanie der amerikanischen Nordstaaten bildeten, um abseits befestigter Straßen unabhängig von Pferden mobil zu sein. Bob Marley widmete übrigens diesen Männern seinen gleichnamigen Song.

Kalifornien, mehr als 300 Sonnentage im Jahr und traumhafte Bergregionen – das ist der Geburtsort des Mountainbikes! Wir sind auf dem Weg nach Fairfax, eine kleine Stadt in Marine County, nördlich von San Francisco. Dort entsteht grade das Museum of Bicycling, welches auch die Mountainbike Hall of Fame beheimaten wird. Wir sind aufgeregt, haben wir uns doch mit einigen ganz besonderen Persönlichkeiten verabredet, die uns die Geschichte unseres Sports aus erster Quelle vermitteln können: Sie waren dabei, als das Mountainbike begann, den Radsport weltweit um eine bedeutsame Facette zu bereichern.

1973 begannen Gary Fisher und sein Freund Jo Breeze, beide erfolgreiche Radrennfahrer, die Berge um Fairfax in Marin County mit den Fahrrädern zu erobern. Als Basis dienten die aus den 1930er bis 1950er bekannten Cruiser Fahrräder – auch Beach Cruiser genannt. Sie wurden maßgeblich von der Firma Schwinn in den USA entwickelt und gebaut. 1933 übernahm die Schwinn Bicycle Company erstmals Luftreifen aus Deutschland und verbesserte den Fahrkomfort deutlich.

Die Schwinn Cruiser wurde auch liebevoll „Clunker“ genannt, da sie recht schwer und nicht unbedingt für das schnelle Fahren auf der Straße geeignet waren. Auf Grund der Stabilität, der aufrechten Sitzposition und der Luftreifen taugten sie aber zum Gelände-Fahrrad. Der Mount Tamalpais nähe Fairfax bot Breeze und Fisher die ideale Spielwiese für steile Abfahrten im Gelände. Bergauf mussten die schweren Clunker, auf Grund der damals noch nicht vorhandene Schaltung, mühsam geschoben werden.

Es entwickelte sich eine „Clunker-Szene“ um die Pioniere Gary Fisher und Jo Breeze, zu dessen harten Kern sich auch Tom Ritchey, Charly Kelly und Otis Guy gesellten. Der Mountainbike-Sport war geboren. Somit war es auch ein Deutscher, nämlich Ignaz Schwinn – geboren in Hardheim in Baden-Württemberg -, der den Grundstein zum modernen Mountainbike legte.

In den folgenden Jahren entwickelte sich aus den Abfahrten 1976 das legendäre Repack-Rennen, ein Downhill-Rennen auf einer steil abschüssigen Schotterstraße vom Mount Pine hinunter nach Fairfax. Wagemutig stürzten sich die Fahrer mit ihren Clunker den Berg hinab, lediglich mit Rücktrittbremse, ohne jeglichen Federungskomfort und Sicherheitsausrüstung, immer auf der Jagd nach neuen Bestzeiten.

Das Repack-Rennen geht als erstes Mountainbike-Rennen in die Geschichte ein. Die Clunker wurden weiter optimiert. Besonders Gary Fisher war für Neuerungen an den Rädern bekannt. Er baute eine Gangschaltung mit Daumenschalter an seinen Clunker und verwendete Schnellspanner für die Sattelstütze. Sein Großvater kam übrigens aus Bayern, sein Nachname wurde Fischer geschrieben.

Doch noch immer waren die Clunker sehr schwer und brachen gelegentlich. Joe Breeze war der erste, der 1977 den ersten echten Mountainbike-Rahmen fertigte. Der Rahmen war deutlich leichter und gleichzeitig stabiler als alles, was bis dahin von der Szene verwendet wurde. Gary Fisher und Joe Breeze gelten damit zu Recht als Erfinder des Mountainbikes.

Mittlerweile stehen wir vor dem Museum, haben unsere Räder aufgebaut und erhaschen einen ersten Blick durch die Scheiben. Die Realisierung des Museums wird ausschließlich aus privaten Geldern finanziert. Ein lässig gekleideter Mann in Shorts und T-Shirt kommt auf uns zu. Es ist Joe Breeze, der uns herzlich begrüßt und hinein bittet. Exponate sind keine ausgestellt, das Museum befindet sich noch im Bau. Joe erklärt uns, wie es später aussehen wird.

Hinterländer treffen auf der rasanten Fahrt auf Klapperschlange und Wapiti

Plötzlich klopft es an der Scheibe. Es ist Otis Guy. Er ist genau wie wir im Radfahr-Outfit gekommen, und das hat einen guten Grund. Otis, dessen Mutter aus Berlin stammt, möchte gerne mit uns den legendären Repack-Downhill fahren, sein Sohn wird uns dabei begleiten. Doch bevor es losgeht, holen wir noch unser Buch aus dem Rucksack und überreichen es Joe. Es ist das erste Werk in den sonst leeren Regalen. Wir fühlen uns sehr geehrt.

Ganz in der Nähe des Museums befindet sich das „Gestalt Haus“, eine Kult-Kneipe für Radfahrer. Hier treffen sich die Biker auf ein Bier, auch wir machen einen kurzen Stopp, denn Otis möchte uns jemanden vorstellen: Gary Fisher sitzt auf einer Bank in der Kneipe mit ein paar Freunden. Diese Gelegenheit nutzen wir für ein gemeinsames Foto auf der Repack-Bank. Die Bank vor dem „Gestalt Haus“ ist mit Schildern und Plaketten übersät. Auf ihnen sind alle die Namen verewigt, die das legendäre Downhill-Rennen schon gewonnen haben. Es liest sich wie das „Who’s who“ des Mountainbike-Sports. Nahezu alle Größen sind hier aufgeführt.

Es war eine gute Idee, eine kleine Pause auf der Bank zu machen, denn jetzt geht es in die Berge. Gut auch, dass wir uns das Bier für später aufsparen. Es liegen 500 Höhenmeter vor uns, die auf den nächsten 10 Kilometern zurückzulegen sind. Ein hartes Stück Arbeit, zuerst auf asphaltierter Straße, später auf Schotterpisten. Besonders der steile Anstieg zum Gipfel des Mount Pine zwickt in den Waden.

In die Wade zwicken können auch Klapperschlangen. Denn in einem Gestrüpp am Wegesrand machen wir Bekanntschaft mit einer, die glücklicherweise bis auf das typische Klappern eher zurückhaltend auf unser Vorbeifahren reagiert. Belohnt werden wir nach dem Anstieg mit einem herrlichen Ausblick, der bis zum Atlantik und nach San Francisco reicht.

Da liegt sie nun vor uns, die erste Mountainbike-Rennstrecke der Geschichte. Ein kleines Schild weist dezent darauf hin. Otis empfiehlt uns, es bergab langsam angehen zu lassen. Der Untergrund ist sehr trocken, sandig und daher zum Teil sehr weich. Wenn man die Strecke nicht kennt, kommt man schnell vom Kurs ab. Er muss es wissen, schließlich hat er selbst bereits das Rennen schon einmal gewonnen, mit der drittschnellsten jemals gefahrenen Zeit.

Wir beherzigen seinen Rat und stürzen uns hinab, um die gesammelten Höhenmeter wieder in kürzester Zeit zu vernichten. Auch wenn die Strecke technisch nicht anspruchsvoll ist, so hat sie viele enge Kurven, ist steil und entsprechend schnell. Ein Abflug wäre verheerend. Zudem muss man immer mit Überraschungen rechnen: Mitten in einer Kurve hockt ein Wapiti, die Amerikaner nennen diese Hirsche auch „Buck“. Das mächtige Tier ist ebenso erschrocken wie wir, springt auf und flüchtet in die Büsche. Bei einer Kollision hätten wir sicher den Kürzeren gezogen. Auch Otis ist überrascht, so etwas hatte er noch nicht erlebt.

Nach etwa sieben Minuten, 4 Kilometern und 400 Höhenmetern ist der Spaß vorbei. Alle sind wohl behalten unten angekommen. Kaum vorstellbar, wie die Jungs damals vor fast 40 Jahren den Downhill mit ihren Clunkern und ohne Helm hinunter geschossen sind, und das in einer Zeit unter 5 Minuten.

Langsam rollen wir zurück nach Fairfax. Im „Gestalt Haus“ hängen wir unsere Räder an die Wand und lassen den Tag ausklingen. Auch Joe gesellt sich wieder zu uns, und wir haben die Gelegenheit, bei einem gemeinsamen Bier über unsere Geschichte, die Geschichte des Mountainbikes, den Repack und die Clunker zu plaudern.

Es ist, als wären wir mittendrin in der Geschichte des Sports, mit dem wir uns seit mehr als 20 Jahren beschäftigen. Für uns war dieser Tag ein ganz besonderes Abenteuer. Jeder Sport hat seine Legenden. Wir hatten die Gelegenheit, unsere Legenden zu treffen.

– Lesen Sie morgen über eine besondere Tandemfahrt, über Hunderte Biker auf der Golden Gate Bridge und über tragende deutsche Ingenieurskunst.

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