Wo Westernhelden einst wirkten

Wo Westernhelden einst wirkten

SERIE Die Hinterländer Mountainbiker auf Spurensuche in den USA – Teil 1

Auslöser für das Amerikaabenteuer der Hinterländer Mountainbiker war ein Zeitungsartikel in der New Yorker Staatszeitung & Herold aus dem Jahr 1986. Darin stand, dass die Vorfahren des Schöpfers der Freiheitsstatue in New York aus einer 800 Seelengemeinde im hessischen Hinterland stammten. Gemeint war Oberhörlen – der Heimatort der Mountainbiker. Da auch die Wiege des Mountainbikesports in Amerika zu finden ist, war für die fünf Männer der Titel des neuen Projekts klar: „Geschichte erfahren – Die neue Welt. Auf den Spuren des Mountainbike-Sports unterwegs in Amerika.“ Und das beginnt mit der Ankunft im Wilden Westen.

Dienstag, 9. September 2014,Venice Beach, Kalifornien.

 

Am frühen Morgen mischt sich vor dem Hotelzimmer lautes Geschrei in das Heulen einer Polizeisirene und weckt uns unsanft aus dem Jetlag. Beim Blick aus dem Fenster werden wir Zeugen, wie ein Mann – offensichtlich nach einem Beziehungsstreit – festgenommen und abgeführt wird. Die Habseligkeiten seiner (Ex-) Partnerin liegen mitten auf der Straße. Willkommen im Wilden Westen, schneller hätte die Akklimatisierung für uns nicht laufen können.

Gegen 9 Uhr sitzen wir bereits auf den Rädern und fahren unserem neuen Abenteuer entgegen. Im Rucksack tragen wir eine von nur noch drei existierenden und wertvollen Hindenburg-Leicas mit uns. Das Schätzchen ist gut versichert und in einer speziell dafür angefertigten Ledertasche geschützt. Nach zehn Meilen ist der Leica Store in Hollywood unser erstes Ziel. Der Geschäftsführer James Agnew empfängt uns mit seinem Team und nimmt mit weißen Handschuhen das Prachtexemplar gebührend in Empfang. Für einige Stunden werden seine vorab ausgewählten Kunden das gute Stück inmitten einer Kombination aus Galerie und Store und der großen Auswahl an hessischer Fototechnologie mit Weltruf bewundern können.

Im deutschen Konsulat in Los Angeles erfahren die Biker viel über die Stadt

Um 14 Uhr geht es dann bei 35 Grad Celsius und strahlendem Sonnenschein weiter zum deutschen Konsulat, wo wir der Einladung des stellvertretenden Generalkonsuls von Los Angeles folgen. Mit seinen Mitarbeitern hat er uns schon im Vorfeld bei der Planung unterstützt. Genau wie seine Kollegen in San Francisco und New York. Den Weg ins diplomatische Corps vor Ort hatte uns der ehemalige deutsche Botschafter und gebürtige Hesse, Dr. Volker Stanzel, geebnet.

Stefan Biedermann erzählt uns engagiert von der noch vergleichsweise jungen Stadt, vom Leben, Wirken und Ansehen der Deutschen im ehemaligen Eldorado einiger Westernhelden. Noch heute wird in dieser Stadt mit starker ethnischer Mischung mehr spanisch als amerikanisch gesprochen. Vorwiegend kreative Menschen sind hier zu Hause und verbreiten mit ihrer Grundeinstellung spürbar eine positive Stimmung.

Nach New York existiert in Los Angeles die zweitgrößte jüdische Community in den USA. In mehren Auswanderungswellen (um 1845, Ende des 19. Jahrhunderts, während der Nazizeit, aber auch ab 1950) strömten viele Deutsche in die USA und nach Los Angeles, das außer Hollywood heute nur wenig zu bieten hat. Aber auch hier haben Deutsche, beispielsweise ein Carl Laemmle, „der Mann, der Hollywood erfand“, Geschichte geschrieben.

Wir erfahren, dass viele Deutsche während und nach den beiden Weltkriegen ihre Herkunft aus Furcht vor Nachteilen verheimlicht haben. Unabhängig davon sind bis heute viele Deutsche, wie zum Beispiel der Filmemacher Roland Emmerich, in Los Angeles sehr erfolgreich.

Die junge Geschichte der ehemaligen spanischen Missionsstation hatte lange Jahre außer Öl nichts vorzuweisen. Das ist heute anders: Extremer Reichtum prägt das Bild in den abgeschotteten Gated Communities. AMG, der deutsche Nobeltuner, verkauft hier mittlerweile mehr Fahrzeuge als in ganz Deutschland. In den meisten Vierteln lebt man unbeschwert und sicher.

Ganz anders sieht es da in Gangland aus, eine Gegend, die nicht unter Kontrolle ist und selbst mit Autos gemieden werden sollte. Auch wenn sich die Zahl der Morde in den letzten Jahren von durchschnittlich drei pro Tag auf „nur“ noch ein Mordopfer reduziert hat. Die Achillesferse der Stadt ist die Wasserversorgung. Riesige Pipelines versorgen seit mehr als 100 Jahren das mehr oder weniger wasserlose Gebiet. Genauso lange wartet man auf ein großes und längst fälliges Erdbeben.

Nach einem Gruppenfoto mit Stefan Biedermann und den Konsulatsangestellten machen wir uns wieder auf den Weg, um nicht in den Berufsverkehr zu geraten. Hier lauert für Radfahrer die größte Gefahr. Unfallflucht ist, so Stefan Biedermann, bei fast 50 Prozent der Verkehrsunfälle die traurige Realität, da die Flüchtigen entweder keine Papiere oder Angst vor den juristischen und damit in den USA erheblichen finanziellen Konsequenzen haben.

Kurz vor unserem Domizil, ereilt Jörg Krug der erste Plattfuß, den wir jedoch in wenigen Minuten beheben. Und so werden wir noch rechtzeitig auf dem 26 Meilen langen Fahrradweg entlang des Pazifischen Ozeans bei Venice Beach mit einem herrlichen Sonnenuntergang belohnt und lassen den Tag auf dem Sattel ausklingen.

– Lesen Sie morgen über eine Route, die kein Ende nimmt, über das größte und älteste Weingut im Napa Valley – natürlich gegründet von einem Hessen – und über einen Plattfuß nach dem anderen

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