Ein Prosit auf die Gastfreundschaft

Ein Prosit auf die Gastfreundschaft

SERIE Die Hinterländer Mountainbiker auf Spurensuche in den USA – Teil 9

Die Familie Schaefer

Donnerstag, 18. September, Albany. Zu Besuch bei Bill Schaefer „Souvenirs, Dosenbier und weitere Geschenke“ – so lautete die Überschrift eines Artikels, der am 29. Juli 1968 in der Wetzlarer Neuen Zeitung erschien. Dieses Dokument und weitere, die wir in Wetzlar im Historischen Archiv fanden, machten uns sehr neugierig auf die Geschichte von Maximilian Schäfer, der 1838 auszog, um in Amerika sein Glück zu suchen.

Lange sah es so aus, als käme keine Erfolg versprechende Recherche im Land der unbegrenzten Möglichkeiten zustande. Unsere zahlreichen Mails an die Pabst Brauerei, die mittlerweile Schaefer Bier in Lizenz braut, blieben allesamt unbeantwortet. Dass das aber in den USA nicht unüblich ist, haben wir mittlerweile gelernt. Wenn kein großes Interesse besteht, antwortet man halt nicht. Für uns, zumindest im geschäftlichen Leben, undenkbar.

Schaefer Beer (Foto: privat)

Auch der dankenswerte Einsatz des Konsulats in Los Angeles, dem Sitz des Pabst Headquaters, blieb erfolglos. Dabei interessierte uns doch brennend, was mit der Tür aus dem Elternhaus Maximilian Schäfers, welches heute noch nahezu unverändert am Kornmarkt in Wetzlar steht, geschehen ist.

Die Tür wurde 1966 von Wetzlar in die USA verschifft. Und: Was ist mit dem Originaltagebuchbericht von Maximilian Schaefer’s Überfahrt nach New York geschehen? Existiert der noch? Unter „Max’s Diary“ ist uns die englische Übersetzung bekannt. Unser Interesse galt aber dem Original von 1838, geschrieben in Sütterlin. Das alles waren Dinge, die wir vor Ort recherchieren wollten.

Über Henry Becker kam schließlich ein Kontakt mit Bill Combs zustande, ein Neffe Bill Schaefers, des letzten Besitzers der Brauerei. Und siehe: Bill Schaefer und seine Familie hatten genau so viel Interesse an einem Treffen wie wir.

Wir fuhren nach Albany, der Hauptstadt des Bundesstaates New York, etwa 120 Meilen nördlich von New York City gelegen. Mit dem Rad war das für uns terminlich leider nicht zu bewältigen, also musste kurzfristig am Flughafen ein Van gemietet werden, der uns aber auch später noch sehr nützlich sein sollte.

Leicht verspätet kamen wir um 11.15 Uhr in Albany beim verabredeten Museum an. Wir staunten nicht schlecht anlässlich des Empfangs, den man uns bereitete. Ein Großteil der Familie Schaefer war anwesend: Bill Schaefer nebst Gattin und Bill Schaefer jun. mit Frau und Kindern. Nach außerordentlich freundlichem Empfang führte uns die Museumsdirektorin – als hätte sie es geahnt – direkt zu dem Objekt unserer Begierde, der Tür aus dem Elternhaus Max Schaefers.

Die Familie Schaefer hält ihre deutsche Vergangenheit in Ehren

Nachdem diese bei den Schaefers in verschieden Häusern einige Jahre zugebracht hatte, hat sie nun ein würdiges Zuhause in einem Raum des Museums gefunden, indem die ganze Geschichte der Brauerei erzählt wird. Einer Geschichte, die 1842 mit der Übernahme einer kleinen Brauerei in New York begann und 1989 mit dem Verkauf des Imperiums an die Pabst Brauerei endete. 1968 war die Brauerei Arbeitsplatz von 4000 Menschen.

Neugierig wollten die Schaefers wissen, wie wir auf ihre Geschichte gestoßen sind und warum das so interessant für uns ist. Schnell wussten alle über China, Brasilien, Namibia und Japan Bescheid. Selbstverständlich blieb auch unser Guinnessbuchrekord nicht unerwähnt. Anschließend ging es zum Lunch in den ältesten Mensclub Amerikas.

Wir gehen mal stark davon aus, dass noch nicht viele diesen ehrenwerten Club in Shorts betreten haben. Das ist normalerweise ein absolutes „No-Go“. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass wir uns gepäcktechnisch auf das Minimum beschränken mussten, so unsere Entschuldigung, machte man eine Ausnahme. Nicht im Entferntesten hatten wir daran gedacht, dass man uns solch einen Empfang bereiten würde, sonst hätten wir zumindest die Wahl der Beinkleider nochmal überdacht.

Sei’s drum, an der festlich gedeckten Tafel mit Namensschildern wusste Bill Schaefer einiges über seine Vorfahren zu berichten. Zum Beispiel versendete sein Vater jedes Jahr zu Weihnachten etwa 3500 Postkarten mit dem Motiv des Geburtshauses im Winter. Da er Wert darauf legte, die Karten persönlich zu schreiben, musste er damit im Juli bereits beginnen.

Es war mehr als deutlich zu spüren, wie sehr sich diese Familie ihrer deutschen Vergangenheit bewusst ist und sie in Ehren hält. Nach dem Lunch hält Bill Schaefer beispielsweise plötzlich ein Wappen der Stadt Wetzlar in den Händen. Solche Geschichtsverbundenheit haben wir bei anderen Begegnungen nicht immer so positiv erlebt. Die Glaskrüge mit dem Motiv der Brauerei, aus dem wir uns das Schaefer Beer haben schmecken lassen, bekamen wir geschenkt, dazu eine Ahnentafel und die Geschichte der Brauerei in Form eines Jubiläumsbuches. So viel Gastfreundschaft hatten wir nur eine Ausgabe unseres Buches „Geschichte erfahren“ entgegenzusetzen. Das verlockende Angebot, über Nacht zu bleiben, mussten wir leider ablehnen.

Hier endet unser Amerika-Abenteuer und die Arbeit am Schreibtisch gewinnt wieder die Oberhand. Zahlreiche Presseberichte, zwei Reportagen für Reise- und Fahrradmagazine, aber auch unsere Projektbroschüre wollen geschrieben werden. Für unsere obligatorische und multimediale Präsentation, die bei freiem Eintritt im Bürgerhaus in Steffenberg-Oberhörlen am 2. Januar um 19 Uhr beginnt, gilt es zusätzlich aus den fast 1000 Bilder die schönsten herauszusuchen und aus den besten Filmsequenzen einen Kurzfilm (später auch auf Youtube) zu produzieren. Aber einhellig sind wir der Meinung: Trotz der vielen Arbeit – es hat sich gelohnt.

Erinnerungen an die Hindenburg

Erinnerungen an die Hindenburg

SERIE Die Hinterländer Mountainbiker auf Spurensuche in den USA – Teil 8

Erinnerungen an die Hindenburg

Mittwoch, 17. September, Lakehurst. Im Navy Lakehurst Heritage Center – etwa 120 Kilometer von New York entfernt – wollen wir einer Falschmeldung von Spiegel-Online auf den Grund gehen. Um 10.30 Uhr mit der hochversicherten Hindenburg-Leica im Gepäck treffen wir uns an der Cathedral of the Air mit dem Tour-Director Don Adams.

Erinnerungen an die Hindenburg

Konsulat erwirkt für Mountainbiker Zutritt zu militärischem Gelände

Erinnerungen an die Hindenburg

Offiziell haben nur US-Bürger Zutritt zu dem abgeschirmten militärischen Gebiet der Navy, aber dank der Hilfe des Konsulats erhalten wir eine Genehmigung. Auf der zweistündigen Tour dürfen wir fast alles fotografieren und sogar unsere Fahrräder mitnehmen.

Besuch in Hangar One

Tour-Director Don Adams bietet uns eine Einzelführung. In der Kirche zählen Gedenktafeln die Toten zweier weiterer Luftschiffkatastrophen auf, die sich schon vor dem Hindenburg-Unglück bei der Navy ereignet hatten.

Noch ergreifender für uns war jedoch der Anblick der bronzenen Gedenktafel an der Absturzstelle der LZ 129 Hindenburg mit 97 Menschen an Bord. Hier erlitt am 6. Mai 1937 innerhalb von nur 45 Sekunden die deutsche Luftschifffahrt einen herben Rückschlag. Don hat einige Fotos dabei, schildert lebhaft den Unfallhergang und erläutert uns die Ursache.

Anschließend besichtigen wir den Hangar One, dessen Größe uns die riesigen Dimensionen der damaligen Luftschiffe – die Hindenburg hatte eine Länge von 245 Metern – erahnen lässt. Zum Schluss besuchen wir noch das kleine Museum, in dem viele Originalteile der deutschen Luftschiffe ausgestellt sind, die von der schon damals hoch entwickelten Technik des deutschen Leichtbaues zeugen.

Don spricht, mit der Hindenburg-Leica in seinen Händen, voller Ehrfurcht von der legendären Graf Zeppelin, dem in seinen Augen besten und erfolgreichsten Luftschiff aller Zeiten. Wir entdecken Briefe von Werner Franz aus Frankfurt, der kürzlich im Alter von 92 Jahren als letztes Crewmitglied der Hindenburg gestorben ist.

Er war jedoch nicht der letzte der 62 Überlebenden, wie die Deutsche Presseagentur und Spiegel-Online in diesem Sommer berichteten. Denn ein Originalbrief jüngeren Datums und die Bekundungen von Don bezeugen, dass sich der in Colorado lebende Werner Doehner immer noch guter Gesundheit erfreut. Abschließend spenden wir Don noch ein anständiges Trinkgeld, denn unsere Führung war kostenlos.

Tipp: Unter navlake(at)prodigy.net können sich Interessierte bei ihm auch als Nichtamerikaner zu einer Tour anmelden.

New York mit dem Rad entdecken

New York mit dem Rad entdecken

SERIE Die Hinterländer Mountainbiker auf Spurensuche in den USA – Teil 7

Auf der Brooklyn Bridge

Dienstag, 16. September, New York. Am United Nations Plaza sind wir gegen 15.30 Uhr nach einer Fahrradstunde quer durch Manhattan im Deutschen Haus bei der frisch gebackenen Generalkonsulin Brita Wagener zu Gast. Aufgrund des UN-Gipfels, der in wenigen Tagen nur einen Steinwurf entfernt beginnt, hat sie nur wenig Zeit. Als passionierte Radfahrerin will sie es sich jedoch nicht nehmen lassen, uns persönlich kennen zu lernen.

Schon ein Jahr zuvor hatten wir uns an ihren Vorgänger gewandt und um Hilfe beim Zutritt zum militärischen Schutzgebiet in Lakehurst, zum Zugang zur Krone der Freiheitsstatue und um Unterstützung bei der Suche nach amerikanischen Genealogen gebeten. Und Unterstützung haben wir bekommen. Denn allein nur für unseren Ausflug nach Lakehurst wird uns eine Praktikantin zur Seite gestellt.

Doch zuerst einmal geht es auf zwei Rädern durch New York. Was für ein Gefühl, hier Rad zu fahren: Schon im Jahre 1626 kaufte der aus Wesel am Rhein stammenden Peter Minuit dieses Land von den Indianern ab. Seit dem sind deutschstämmige Menschen wesentlich an der Entwicklung von New York beteiligt. Dazu gehört auch der Bau der Brooklyn Bridge, die den gleichnamigen Stadtteil mit der Insel Manhattan verbindet.

Die Brooklyn Bridge

Wir sind etwas überrascht, wie rücksichtslos einige Radfahrer diesen ganz besonderen Rad- und Fußgängerüberweg zu ihrer Rennstrecke machen.

Das lag wohl nicht in der Absicht des deutschen Architekten und Erbauers Johann Röbling (1806-1869). Röbling stammte aus Mühlhausen in Thüringen und hatte mit deutscher Ingenieurskunst dieses weltberühmte Bauwerk zusammen mit seinem Sohn Washington entworfen und gebaut. Auf der anderen Seite angekommen, werden wir mit atemberaubenden Blicken und Bildern auf die Skyline von Manhattan mehr als belohnt.

Dieses Fahrraderlebnis ist übrigens genau so ein Muss wie die High Line, eine 2,5 Kilometer lange – zum Park ausgebaute – Hochbahntrasse. Die neun Meter hohe, früher vom Güterverkehr genutzte Trasse dient heute als Wander- und Fahrradweg, der sich wie ein grüner Faden durch den Süden Manhattans zieht.

Auf Entdeckungstour

In der Regel befinden sich die Radwege ausschließlich links, sind dafür aber teilweise zweispurig ausgebaut. Ist man nicht gerade in der Rushhour unterwegs, zeigen sich die anderen Verkehrsteilnehmer tagsüber defensiv und rücksichtsvoll. Gefahr droht von Bus und Taxifahrern. Grün bedeutet nicht automatisch Grün. Und nachts sollte man auf der Hut vor der gelben Gefahr (Taxis) sein, wie Uli fast um ein Haar schmerzvoll erfahren hätte. Deshalb sollte man sich grundsätzlich rechtzeitig auf den Weg machen, um nicht in den Berufsverkehr zu geraten. Denn wie in Los Angeles lauert für Radfahrer die größte Gefahr in der Unfallflucht.

Die Straßen selbst sind in einem schlechten Zustand, aber unseren Mountainbikes macht das nichts aus. Je weiter man sich jedoch in die Außenbezirke New Yorks entfernt, umso schlechter wird das Angebot an Fahrradwegen. Unverständlich ist für uns, dass es bei der Qualität der Straßen keine Helmpflicht gibt. Nur Radfahrer, die beruflich in der Stadt unterwegs sind, wie Eilboten oder Pizza- und Hähnchenlieferanten, müssen Helme tragen. Viele dieser Zweiradprofis sind jedoch mittlerweile auf E-Bikes unterwegs.

Zu Besuch im Leica Store

War das Radfahren noch vor Jahrzehnten total out, so erfreut es sich jetzt mehr und mehr der Beliebtheit der Amerikaner, wie wir auch schon in San Francisco feststellen konnten. Das sehr gut nachgefragte Verleihsystem der Citybikes floriert auch hier genau wie in europäischen Großstädten.

Abenteurer sorgen mit ihrer alten Leica für Aufsehen

Viele Nutzer – wie auch unser Koch, den wir auf seinem Dienstrad interviewen – beklagen jedoch das hohe Gewicht dieser ansonsten optisch und technisch ansprechenden Leihräder.

Auf Entdeckungstour

War es in den 70er Jahren noch eine Hand voll Radfahrer, die man in Manhattan am Wochenende auf Bikes antreffen konnte, so strömen heute an schönen Wochenendtagen 500 bis 1000 Biker in die Erholungsgebiete. Große Banner animieren, mit dem Rad zur Schule oder zur Arbeit zu fahren. Über 50 Kilometer legen wir schließlich in New York auf dem Sattel zurück.

Am Abend des 16. September sind wir noch von Elliot Kurland, dem Präsident und Inhaber des Leica Store‘s in SoHo, zur Eröffnung der Ausstellung „Namibia entitled Africanae and Chernogirls“ eingeladen. Unsere Hindenburg-Leica, die wir dabei haben, stiehlt den Bildern des bekannten Fotografen Marc Erwin Babej jedoch teilweise die Show.

Das Hörler Mädche in New York

Das Hörler Mädche in New York

SERIE Die Hinterländer Mountainbiker auf Spurensuche in den USA – Teil 6

„Ei gude wie, Hörler Mädche“: …

Montag, 15. September, Newark. Wir nutzen die frühe Stunde, um auf dem Weg zu unserem Apartment noch der Spur von Wilhelm Thomas und Mary Zerres nachzugehen, die aus Gönnern – Harry‘s Heimatort – 1909 nach Amerika ausgewandert waren. Mit reichlich Informationen von Günter Müller, einem Enkel von Mary Zerres versorgt, navigieren wir zur „Seated Lincoln Statue“.

Wir genießen die ersten Sonnenstrahlen des Tages und stellen die Szene vor dem Essex County Courthouse nach. Vor dem Gerichtsgebäude hatte 1913 Wilhelm Thomas für ein Foto posiert. Da sich der Gasthof, aus dem Wilhelm Thomas stammte, in nur 50 Meter Luftlinie von Harrys Wohnhaus in Gönnern befindet, liegt es natürlich nahe, dass er den Auswanderer aus dem Hinterland mimt.

Danach machen wird uns auf zur Dharma Home Suite in der 70 Greene Street, Yersey City. Noch wissen wir nicht, in welcher exponierten Lage sich unser preiswertes Apartment befindet. Fünf Tage New York liegen jetzt vor uns. Leider dürfen wir erst ab 15 Uhr unser feudales und am Hudson River strategisch hervorragend gelegenes Domizil in der 48. Etage beziehen.

Hier sind es zwar nur noch sechs Stunden Zeitverschiebung zu unserer Heimat, aber lediglich drei Stunden Schlaf im Flugzeug und die kalifornische Zeit hängen uns in den Knochen. Doch es hilft nichts, nach einem ausgiebigen Frühstück steht ein Projekthighlight auf dem Programm: das Hörler Mädche, besser bekannt als die Freiheitsstatue von New York.

Vor knapp zwei Jahren machte uns der Eschenburger Heimathistoriker Heinz Blöcher auf einen Artikel aufmerksam, der wesentlich dazu beitrug, dass wir uns bei dem Projektziel 2014 für die USA entschieden. Am 28. Oktober 1886 wurde die 46 Meter hohe, in Kupfer getriebene Freiheitsstatue auf einem 47 Meter hohen Steinsockel in New York enthüllt. Frédéric Auguste Bartholdi, der aus dem französischen Elsass stammte, war ihr berühmter Schöpfer.

Genau 100 Jahre später veröffentlichte die New Yorker Staatszeitung & Herold einen langen Bericht über die Geschichte des New Yorker Wahrzeichens, der wie folgt begann: „Wussten Sie schon, das die Vorfahren des Schöpfers der Freiheitsstatue aus der deutschen Heimat stammen?“ Doch Bartholdis Stammvater war nicht nur einfach Deutscher, Hesse oder gar Hinterländer. Nein. Besser: Seine aus Biedenkopf stammende Frau wurde in der gleichen Kirche der 800 Seelengemeinde Oberhörlen konfirmiert wie Jörg Krug. Und einige Jahre später wurde sie dort auch mit Barthold (die deutsche Namensversion) getraut, genau wie Uli Weigel 329 Jahre später.

Wie elektrisiert suchten wir nach diesen neuen Erkenntnissen nun nach Beweisen. Es sollte noch zwei mehr als 300 Jahre alte handschriftliche Eintragungen im Oberhörler Kirchenbuch geben. Und auch ein Grabstein im hessischen Krumbach sollte existieren. Die Fahrradziele für unsere nächsten sonntäglichen Recherchen in der Hinterländer Heimat standen fest. Und wir wurden auch Dank der Hilfe des Hörler Pfarrers Stefan Föste schnell fündig.

Klar, dass die Statue nun eines unserer Hauptziele in den Staaten war, und weil wir jetzt quasi mit dem großen „Mädche“ verwandt waren, hatten wir die Hoffnung, zumindest mit einem Rad in die Krone der Dame zu dürfen. Denn skurrile Fahrradabenteuer gehören zu unseren Projekten.

Doch monatelange intensive Versuche über die Konsulate, geschäftliche Kontakte und die Parkverwaltung, eine Sondergenehmigung zu erhalten, führen nicht zum Erfolg. Egal, jetzt sind wir vor Ort, steuern unsere Bikes zur Anlegestelle der Fähre nach Liberty Island und sehen schon von weitem mit Entsetzen die Hunderte Meter lange Besucherschlange.

Zwar haben wir genügend Geld für den Eintritt, aber nicht die Zeit, stundenlang anzustehen. Deshalb spricht Uli einen Ranger an und kämpft sich durch die Hierarchien. Mit Erfolg, denn zu unserer Überraschung weiß man schon von unserem Vorhaben: Ranger Jacob Shiflett führt uns vorbei an vielen neidischen Blicken und zudem kostenlos zur Fähre.

Sowohl auf der Fahrt zur Statue, wie auch beim Rundgang auf der Insel klären wir nicht ohne Stolz deutsche Touristen über unsere ganz besondere, ja eigentlich verwandtschaftliche, Beziehung zur Statue auf. Jenes amerikanische Freiheitssymbol, das alle, auch die deutschen Einwanderer, als erstes bei ihrer Ankunft in der „neuen Welt“ erblicken.

Ingenieurskunst am Goldenen Tor

Ingenieurskunst am Goldenen Tor

SERIE Die Hinterländer Mountainbiker auf Spurensuche in den USA – Teil 5

Sonntag, 14. September. Seitdem wir global unterwegs sind, stellen die Projekte auch logistisch eine immer größere Herausforderung an uns. Reichte in Namibia noch ein Van und in Japan der Shinkansen (Hochgeschwindigkeitszug), so mussten wir uns in den USA etwas anderes einfallen lassen, um die teilweise notwendigen Transfers von bis zu 5000 Kilometern zu meistern. Leider haben wir im Gegensatz zu unseren neuen Freunden Joe Breeze und Otis Guy, mit denen wir noch am Vortag gemeinsam auf den Bikes unterwegs waren, nicht die Zeit, das mit unseren Rädern zu meistern. Beide hatten es zweimal – zuletzt vor mehr als 30 Jahren – mit ihrem Tandem versucht, den damals gültigen Bike-Rekord von San Francisco nach New York zu brechen.

Durch die Speichen geschaut: …

Es ist 4 Uhr morgens, als sich Joe Breeze und Otis Guy am 12. Juni 1979 von der Golden Gate Bridge in San Francisco auf den Weg machen. Sie wollen den Rekord für die Durchquerung der USA auf einem Fahrrad unterbieten. Dieser liegt bei 13 Tagen, einer Stunde und 40 Minuten und wurde 1978 von John Marino aufgestellt. Das kühne Ziel lautet, die Strecke in weniger als zwölf Tagen zu bewältigen. Drei Jahre zuvor mussten sie bei ihrem ersten Versuch nach sechs Tagen aufgrund von Knieproblemen von Joe aufgeben. Diesmal wählen sie eine Strecke mit einer Distanz von etwas mehr als 4800 Kilometern, was einen Schnitt von 417 Kilometern und 15 Stunden pro Tag im Sattel bedeutet. Dort, wo ein Fahren nicht möglich ist, muss das Tandem getragen werden. Otis steuert, Joe sitzt hinter ihm. Am ersten Tag erreichen sie in guter Verfassung – nach 419 Kilometern und einer Höchstgeschwindigkeit von 104 Stundenkilometern – Reno.

Am zweiten Tag schaffen sie 475 Kilometer, nach weiteren 369 Kilometern sind sie in Salt Lake City. Sie liegen gut im Plan, aber wie schon drei Jahre zuvor schmerzt Joes Knie wieder. Im Krankenhaus macht man ihm deutlich, dass ein Weiterfahren nicht möglich sei, ohne das Knie dauerhaft zu schädigen. Und so nimmt auch der zweite Versuch ein jähes Ende.

Die Brücke über die Bucht von San Francisco – ein Muss für Radfahrer

Um uns dies zu ersparen, wählen wir den Nachtflug nach New York, zumal wir auch nur zehn Tage für unser Projekt in den USA haben. Bevor wir unsere Bikes in den B&W Bags sicher verstauen, wollen wir noch der Golden Gate Bridge und Sausalito einen Besuch abstatten. Ein Muss für Radfahrer, aber die Fahrt über das Wahrzeichen San Franciscos ist an einem Sonntag und noch dazu um die Mittagszeit für „normale“ Radfahrer nicht ganz ungefährlich. Hunderte Biker sind auf einer Spur in beiden Richtungen unterwegs und nehmen mehr oder weniger Rücksicht aufeinander.

Immerhin werden wir mit Heldenwetter belohnt und genießen die Fahrt über die Brücke in beide Richtungen. Direkt im Anschluss besuchen wir nach einer guten Meile auf vorbildlichen Radwegen den beschaulichen Hafenvorort Sausalito. Inmitten vieler Biker aller Couleur, speziellen Parkplätzen und Kneipen für Biker und auf hervorragenden Fahrradspuren entlang der Küste fühlen wir uns pudelwohl, bis gegen 17 Uhr der Flugplan ruft.

Übrigens hat auch beim Bau der Golden Gate Bridge deutsche Ingenieurskunst ihre Spuren hinterlassen. Die Firma Roebling war der Lieferant der innovativen Tragseile, die diese kühne Konstruktion erst ermöglichten.

– Lesen Sie morgen, warum die Hinterländer Mountainbiker mit der Freiheitsstatue verwandt sind und es neidische Blicke für die deutschen „Nachfahren“ aus der Warteschlange gibt.

Auf Du und Du mit Legenden

Auf Du und Du mit Legenden

SERIE Die Hinterländer Mountainbiker auf Spurensuche in den USA – Teil 4

Freitag, 13. September, Fairfax. Heute wollen wir uns der Historie unseres Sports widmen. Kaum eine andere Sportart ist so jung und hat sich dennoch so rasant entwickelt wie der Mountainbike-Sport. Die Suche nach dem Ursprung des Mountainbike sollte ein Highlight werden.

Sicher ist es schwierig, auszumachen, wo der Ursprung des Mountainbikes zu finden ist, handelt es sich doch primär um ein geländegängiges Fahrrad. Das Puch Waffenrad zum Beispiel, mit dem bereits Ende des 19. Jahrhunderts die Alpen erkundet wurde, passt ebenso zum Bild eines Ur-Mountainbikes wie etwa die robusten Fahrräder, mit denen die legendären „Buffalo Soldiers“ ebenfalls Ende des 19. Jahrhunderts eine Fahrrad-Kompanie der amerikanischen Nordstaaten bildeten, um abseits befestigter Straßen unabhängig von Pferden mobil zu sein. Bob Marley widmete übrigens diesen Männern seinen gleichnamigen Song.

Kalifornien, mehr als 300 Sonnentage im Jahr und traumhafte Bergregionen – das ist der Geburtsort des Mountainbikes! Wir sind auf dem Weg nach Fairfax, eine kleine Stadt in Marine County, nördlich von San Francisco. Dort entsteht grade das Museum of Bicycling, welches auch die Mountainbike Hall of Fame beheimaten wird. Wir sind aufgeregt, haben wir uns doch mit einigen ganz besonderen Persönlichkeiten verabredet, die uns die Geschichte unseres Sports aus erster Quelle vermitteln können: Sie waren dabei, als das Mountainbike begann, den Radsport weltweit um eine bedeutsame Facette zu bereichern.

1973 begannen Gary Fisher und sein Freund Jo Breeze, beide erfolgreiche Radrennfahrer, die Berge um Fairfax in Marin County mit den Fahrrädern zu erobern. Als Basis dienten die aus den 1930er bis 1950er bekannten Cruiser Fahrräder – auch Beach Cruiser genannt. Sie wurden maßgeblich von der Firma Schwinn in den USA entwickelt und gebaut. 1933 übernahm die Schwinn Bicycle Company erstmals Luftreifen aus Deutschland und verbesserte den Fahrkomfort deutlich.

Die Schwinn Cruiser wurde auch liebevoll „Clunker“ genannt, da sie recht schwer und nicht unbedingt für das schnelle Fahren auf der Straße geeignet waren. Auf Grund der Stabilität, der aufrechten Sitzposition und der Luftreifen taugten sie aber zum Gelände-Fahrrad. Der Mount Tamalpais nähe Fairfax bot Breeze und Fisher die ideale Spielwiese für steile Abfahrten im Gelände. Bergauf mussten die schweren Clunker, auf Grund der damals noch nicht vorhandene Schaltung, mühsam geschoben werden.

Es entwickelte sich eine „Clunker-Szene“ um die Pioniere Gary Fisher und Jo Breeze, zu dessen harten Kern sich auch Tom Ritchey, Charly Kelly und Otis Guy gesellten. Der Mountainbike-Sport war geboren. Somit war es auch ein Deutscher, nämlich Ignaz Schwinn – geboren in Hardheim in Baden-Württemberg -, der den Grundstein zum modernen Mountainbike legte.

In den folgenden Jahren entwickelte sich aus den Abfahrten 1976 das legendäre Repack-Rennen, ein Downhill-Rennen auf einer steil abschüssigen Schotterstraße vom Mount Pine hinunter nach Fairfax. Wagemutig stürzten sich die Fahrer mit ihren Clunker den Berg hinab, lediglich mit Rücktrittbremse, ohne jeglichen Federungskomfort und Sicherheitsausrüstung, immer auf der Jagd nach neuen Bestzeiten.

Das Repack-Rennen geht als erstes Mountainbike-Rennen in die Geschichte ein. Die Clunker wurden weiter optimiert. Besonders Gary Fisher war für Neuerungen an den Rädern bekannt. Er baute eine Gangschaltung mit Daumenschalter an seinen Clunker und verwendete Schnellspanner für die Sattelstütze. Sein Großvater kam übrigens aus Bayern, sein Nachname wurde Fischer geschrieben.

Doch noch immer waren die Clunker sehr schwer und brachen gelegentlich. Joe Breeze war der erste, der 1977 den ersten echten Mountainbike-Rahmen fertigte. Der Rahmen war deutlich leichter und gleichzeitig stabiler als alles, was bis dahin von der Szene verwendet wurde. Gary Fisher und Joe Breeze gelten damit zu Recht als Erfinder des Mountainbikes.

Mittlerweile stehen wir vor dem Museum, haben unsere Räder aufgebaut und erhaschen einen ersten Blick durch die Scheiben. Die Realisierung des Museums wird ausschließlich aus privaten Geldern finanziert. Ein lässig gekleideter Mann in Shorts und T-Shirt kommt auf uns zu. Es ist Joe Breeze, der uns herzlich begrüßt und hinein bittet. Exponate sind keine ausgestellt, das Museum befindet sich noch im Bau. Joe erklärt uns, wie es später aussehen wird.

Hinterländer treffen auf der rasanten Fahrt auf Klapperschlange und Wapiti

Plötzlich klopft es an der Scheibe. Es ist Otis Guy. Er ist genau wie wir im Radfahr-Outfit gekommen, und das hat einen guten Grund. Otis, dessen Mutter aus Berlin stammt, möchte gerne mit uns den legendären Repack-Downhill fahren, sein Sohn wird uns dabei begleiten. Doch bevor es losgeht, holen wir noch unser Buch aus dem Rucksack und überreichen es Joe. Es ist das erste Werk in den sonst leeren Regalen. Wir fühlen uns sehr geehrt.

Ganz in der Nähe des Museums befindet sich das „Gestalt Haus“, eine Kult-Kneipe für Radfahrer. Hier treffen sich die Biker auf ein Bier, auch wir machen einen kurzen Stopp, denn Otis möchte uns jemanden vorstellen: Gary Fisher sitzt auf einer Bank in der Kneipe mit ein paar Freunden. Diese Gelegenheit nutzen wir für ein gemeinsames Foto auf der Repack-Bank. Die Bank vor dem „Gestalt Haus“ ist mit Schildern und Plaketten übersät. Auf ihnen sind alle die Namen verewigt, die das legendäre Downhill-Rennen schon gewonnen haben. Es liest sich wie das „Who’s who“ des Mountainbike-Sports. Nahezu alle Größen sind hier aufgeführt.

Es war eine gute Idee, eine kleine Pause auf der Bank zu machen, denn jetzt geht es in die Berge. Gut auch, dass wir uns das Bier für später aufsparen. Es liegen 500 Höhenmeter vor uns, die auf den nächsten 10 Kilometern zurückzulegen sind. Ein hartes Stück Arbeit, zuerst auf asphaltierter Straße, später auf Schotterpisten. Besonders der steile Anstieg zum Gipfel des Mount Pine zwickt in den Waden.

In die Wade zwicken können auch Klapperschlangen. Denn in einem Gestrüpp am Wegesrand machen wir Bekanntschaft mit einer, die glücklicherweise bis auf das typische Klappern eher zurückhaltend auf unser Vorbeifahren reagiert. Belohnt werden wir nach dem Anstieg mit einem herrlichen Ausblick, der bis zum Atlantik und nach San Francisco reicht.

Da liegt sie nun vor uns, die erste Mountainbike-Rennstrecke der Geschichte. Ein kleines Schild weist dezent darauf hin. Otis empfiehlt uns, es bergab langsam angehen zu lassen. Der Untergrund ist sehr trocken, sandig und daher zum Teil sehr weich. Wenn man die Strecke nicht kennt, kommt man schnell vom Kurs ab. Er muss es wissen, schließlich hat er selbst bereits das Rennen schon einmal gewonnen, mit der drittschnellsten jemals gefahrenen Zeit.

Wir beherzigen seinen Rat und stürzen uns hinab, um die gesammelten Höhenmeter wieder in kürzester Zeit zu vernichten. Auch wenn die Strecke technisch nicht anspruchsvoll ist, so hat sie viele enge Kurven, ist steil und entsprechend schnell. Ein Abflug wäre verheerend. Zudem muss man immer mit Überraschungen rechnen: Mitten in einer Kurve hockt ein Wapiti, die Amerikaner nennen diese Hirsche auch „Buck“. Das mächtige Tier ist ebenso erschrocken wie wir, springt auf und flüchtet in die Büsche. Bei einer Kollision hätten wir sicher den Kürzeren gezogen. Auch Otis ist überrascht, so etwas hatte er noch nicht erlebt.

Nach etwa sieben Minuten, 4 Kilometern und 400 Höhenmetern ist der Spaß vorbei. Alle sind wohl behalten unten angekommen. Kaum vorstellbar, wie die Jungs damals vor fast 40 Jahren den Downhill mit ihren Clunkern und ohne Helm hinunter geschossen sind, und das in einer Zeit unter 5 Minuten.

Langsam rollen wir zurück nach Fairfax. Im „Gestalt Haus“ hängen wir unsere Räder an die Wand und lassen den Tag ausklingen. Auch Joe gesellt sich wieder zu uns, und wir haben die Gelegenheit, bei einem gemeinsamen Bier über unsere Geschichte, die Geschichte des Mountainbikes, den Repack und die Clunker zu plaudern.

Es ist, als wären wir mittendrin in der Geschichte des Sports, mit dem wir uns seit mehr als 20 Jahren beschäftigen. Für uns war dieser Tag ein ganz besonderes Abenteuer. Jeder Sport hat seine Legenden. Wir hatten die Gelegenheit, unsere Legenden zu treffen.

– Lesen Sie morgen über eine besondere Tandemfahrt, über Hunderte Biker auf der Golden Gate Bridge und über tragende deutsche Ingenieurskunst.

Sonne senkrecht am Napa Trail

Sonne senkrecht am Napa Trail

SERIE Die Hinterländer Mountainbiker auf Spurensuche in den USA – Teil 3

Schussfahrt über eine Brücke …

Freitag, 12. September, Napa. Es fängt schon wieder gut an. Als wir gegen halb zehn die Räder aus dem Konferenzraum holen, den uns das Hotel für unsere Bikes zur Verfügung gestellt hat, stellen wir fest, dass Jörgs Rad erneut platt ist. Nachwehen des gestrigen Tages. In der Pannenstatistik steht es jetzt 3:2:0. Drei platte Reifen bei Harry, zwei platte Reifen bei Jörg, Uli geht leer aus.

Gleich geht’s los: Harald …

Eine Stunde vergeht, in der wir unsere Räder flicken wie die Weltmeister. Anschließend machen wir uns auf den Weg zu einem Bikeshop, neue Schläuche müssen her. Doch der Shop öffnet freitags erst um 12 Uhr mittags. Notgedrungen geht es ohne weiter, und es kommt wie es kommen musste: Jörgs Vorderrad schwächelt wieder. Zum Reparieren müssen mittlerweile altersschwache selbstklebende Flicken herhalten, alles andere ist aufgebraucht.

Wir suchen inzwischen in Supermärkten nach Schläuchen. Im „Target“ werden wir fündig – 26″ und 29″ sogar mit Pannenschutz, genau das, was wir brauchen. Es ist schon fast Mittag, als wir endlich am Einstieg des Napa Trails ankommen, den wir von zu Hause bereits als GXP-File auf unseren Garmins geladen haben.

Die Sonne brennt gnadenlos senkrecht auf uns nieder. Der Trail empfängt uns mit unangenehmen, felsigen Anstiegen, die nicht leicht zu fahren sind – schon gar nicht in sengender Mittagshitze. Oft müssen wir absteigen und schieben. Hoffentlich reichen unsere Trinkreserven, denn wir wissen nicht, was uns auf dem 19 Kilometer langen Rundkurs noch erwarten wird. Das macht es schwierig, sich die Kräfte gut einzuteilen.

Die Temperatur steigt, die Laune sinkt, und die Wasservorräte gehen zur Neige

Die Temperatur steigt, die Laune sinkt. Schnell ist die 40-Grad-Marke erreicht. Zwei Biker kommen uns entgegen, die haben es wahrscheinlich schon geschafft. Nach Überwindung des ersten schwierigen Teilstückes entpuppt sich der Weg nach und nach als anspruchsvoller, abwechslungsreicher Pfad, mit allem was das Mountainbiker-Herz höher schlagen lässt. Rasante Downhills wechseln sich mit anspruchsvollen Anstiegen ab.

Unsere Mundwinkel gehen wieder nach oben. Serpentinenartige Spitzkehren verlangen uns alles ab, immer die Angst im Nacken, nicht rechtzeitig aus den Pedalen zu kommen. Das ist mittlerweile zu einem Problem geworden. Die Clickies lösen nur sehr widerwillig aus, obwohl wir sie schon ganz geöffnet haben, was uns verständlicherweise in schwierigen Passagen unsicher werden lässt und den Fahrspaß etwas trübt.

Jetzt vermissen wir zum ersten Mal unser Pflegeöl. Aber das stand nicht auf der Checkliste, wir sind schließlich mit Rohloff Speedhub, in Verbindung mit Gates-Carbon Riemenantrieb unterwegs – ein Rundum-sorglos-Paket, welches keinerlei Wartung benötigt. Nur den Pedalen würde etwas Pflege guttun. Auf der Checkliste für die nächste Tour wird das Öl wieder drauf stehen.

Der Weg schlängelt sich weiter an Berghängen entlang und kreuzt auch schon mal andere ausgeschilderte Trails, was uns irritiert. Aber dank unserer Garmins sind wir uns relativ sicher, auf dem richtigen Pfad zu sein, denn den Napa Trail als solchen gibt es nicht. Er setzt sich aus mehreren kleineren Rundwegen zusammen, die uns dazu zwingen, unsere GPS-Geräte ständig im Auge zu halten. Zum Glück melden diese rechtzeitig über ein akustisches Signal, wenn eine Kreuzung oder ein Abzweig naht. Sogar die benötigte Zeit und die Entfernung zur nächsten Kursänderung werden auf dem Display angezeigt.

Unsere Wasservorräte gehen langsam zur Neige, so dass wir froh sind, früher als erwartet wieder auf menschliche Behausungen zu stoßen. Zielstrebig steuern wir einen mexikanischen Supermarkt an. Ein Six-Pack Bud Light aus dem Kühlregal wechselt ziemlich schnell den Besitzer.

Beeindruckt sind wir auch von der prall gefüllten Fleischtheke. Nichts für Vegetarierer. Uli entdeckt sogar die ersten Saufüßchen in der sonst so Schweinefleisch armen Gegend. Das eiskalte Bier lassen wir uns draußen am Straßenrand, im Schatten eines Baumes, schmecken und kommen schnell ins Schwärmen, angesichts des Erlebten.

Keiner von uns denkt daran, dass Alkohol in USA in der Öffentlichkeit zumindest nicht gerne gesehen wird. In manchen Bundesstaaten ist es sogar verboten, Alkohol in der Öffentlichkeit zu trinken. In Kalifornien zum Glück nicht.

Im Nachhinein gehört der Napa Trail mit zu den schönsten und anspruchsvollsten Strecken, die wir gefahren sind. Die Strapazen sind schnell vergessen, das Positive gewinnt die Oberhand. Wir freuen uns jetzt auf den Pool, etwas Schönes zu Essen und die anschließende Weinprobe bei Beringer Wineyards in St. Helena – ein Weingut mit deutschen Wurzeln. Alles in allem ist es noch ein gelungener Tag geworden, den wir auf der Terrasse des „River Terrace Inn Hotel“ bei Beringer- und Krug-Wein ausklingen lassen.

Fakten des Tages: 40 Grad Celsius, 2 platte Reifen, 30 Kilometer, 430 Höhenmeter, Fahrzeit 2,5 Stunden.

– Lesen Sie morgen, was Bob Marley mit dem Mountainbike zu tun hat, warum ein Abflug beim Repack-Rennen verheerend ist, sowie über eine Klapperschlange, ein Wapiti und ein Treffen mit Mountainbike-Legenden.

Pleiten, Pech und Stachelbeeren

Pleiten, Pech und Stachelbeeren

SERIE Die Hinterländer Mountainbiker auf Spurensuche in den USA – Teil 2

Donnerstag, 11. September 2014, Napa Valley. Es ist 8 Uhr morgens. Wir haben um 10.30 Uhr in der Charles Krug Winery einen Termin zur Weinprobe. Das Weingut ist das älteste und eines der größten im Napa Valley. Wir wollen um 9 Uhr loszufahren, um pünktlich mit den Bikes in St. Helena zu erscheinen.

Charles Krug aus Trendelburg …

Nach Harrys Google- Maps-Recherche sind es vom Hotel bis zur Krug Winery genau 8,3 Meilen. Das müsste klappen. Doch weit gefehlt. Anstatt der 8,3 Meilen lagen mehr als 20 Meilen vor uns. Schnell war klar, dass wir uns um eine knappe Stunde verspäten würden. Hundert Meter vor dem Ziel hatten wir dann auch noch einen Platten.

Um 11.20 Uhr kamen wir an, doch da wir die einzigen waren, die für eine Führung angemeldet waren, gab es kein Problem mit der mangelnden Pünktlichkeit der Deutschen. Empfangen wurden wir von Rebecca Pattersen, die uns mit Geduld und Fachwissen viel über die Geschichte der Familie Krug und über den jetzigen Besitzer Peter Mondavi erzählte.

Charles Krug, Lehrer aus Trendelburg im Landkreis Kassel, kam 1860 nach Napa Valley. Er hielt dieses wunderbare Fleckchen Erde für ideal, um Weinanbau nach seinen Vorstellungen zu betreiben. Mit nicht besonders viel Erfahrung und ohne Weinpresse, die er sich zunächst leihen musste, begann er in St. Helena mit dem Weinbau.

Cesare Mondavi kaufte das Weingut 1943 für 75 000 Dollar. Seither ist es im Besitz der Familie Mondavi und wird aktuell von Peter Mondavi jr. immer noch unter „Charles Krug“ geführt. Es ist somit das älteste noch existierende Weingut im Napa Valley. Das Wort „Napa“ kommt übrigens von den Ureinwohnern und bedeutet Haus.

Wir lassen uns verschiedene Rot- und Weißweine in der Atmosphäre dieses alten feudalen Anwesens schmecken. Nach Sauvignon Blanc, Pinot Noir und Cabernet Sauvignon findet der Besuch in angemessenem Ambiente sein Ende, wo wir natürlich ausreichend Gelegenheit zum Kauf der Weine bekommen.

Beim Gespräch mit Rebecca Pattersen erfahren wir, dass ihr Mann auch begeisterter Biker ist. Spontan laden wir ihn ein, uns bei der geplanten Tour des legendären „Repack-Downhills“ in Marin County zu begleiten. Wenn alles klappt, treffen wir dort auf die Legenden des Mountainbike-Sports. Doch dazu später.

Nach der beeindruckenden Weintour sind wir uns einig, den geplanten MTB-Rundkurs von rund 47 Kilometern Länge sausen zu lassen und stattdessen direkt den Heimweg durch die Weinberge anzutreten.

Auf Stippvisite beim CIA – dem Kulinarischen Institut von Amerika

Vorher wollen wir noch dem Culinary Institut of America, kurz CIA, einen Besuch abstatten. Der Kontakt zu der Kochhochschule ist durch unseren Freund und Bekannten Iwo Jahn zustande gekommen.

Da das Institut unweit der Krug Winery liegt, entschließen wir uns spontan, die Schule zu besuchen. Nicht zuletzt auch in der Hoffnung, eventuell noch etwas zu essen zu bekommen. Leider hat das Restaurant schon geschlossen. Nach einem kurzen Gespräch mit Lars Kronmark, Chief Instructor des CIA, machen wir uns um 16 Uhr auf den Heimweg – durch die Weinberge soll’s gehen. Keine gute Idee. Drei Plattfüße später und nur 500 Meter weiter an dornigen Stachelbeerbüschen entlang, entschließen wir uns, das Vorhaben aufzugeben. Kein Schlauch mehr, und das Flickzeug ist ziemlich aufgebraucht.

Nun liegen 32 Kilometer bei 38 Grad entlang des vielbefahrenen Highways 128 vor uns. Selbst die unglaublich süßen Weintrauben vermögen es nicht, unsere Stimmung aufzuhellen. Schweigend machen wir uns auf nach Napa.

Die Sonne meint es zu gut mit uns, erste Unterhopfungserscheinungen zeigen sich. Die bekämpfen wir notdürftig mit einer hastig verschlungenen Cola Light von der Tanke und erreichen so ziemlich erschöpft um 18.30 Uhr und nach 68 Kilometern die lang ersehnte Oase: das River Terrasse Inn Hotel in Napa. Ein optimales Hotel, das uns bei Pool, Wein, Steaks und Livemusik schnell die Strapazen des Tages vergessen lässt.

– Lesen Sie morgen über den Napa Trail in sengender Mittagshitze, über Clickies, die nur widerwillig auslösen, und über ein kühles Bier am Straßenrand.

Wo Westernhelden einst wirkten

Wo Westernhelden einst wirkten

SERIE Die Hinterländer Mountainbiker auf Spurensuche in den USA – Teil 1

Auslöser für das Amerikaabenteuer der Hinterländer Mountainbiker war ein Zeitungsartikel in der New Yorker Staatszeitung & Herold aus dem Jahr 1986. Darin stand, dass die Vorfahren des Schöpfers der Freiheitsstatue in New York aus einer 800 Seelengemeinde im hessischen Hinterland stammten. Gemeint war Oberhörlen – der Heimatort der Mountainbiker. Da auch die Wiege des Mountainbikesports in Amerika zu finden ist, war für die fünf Männer der Titel des neuen Projekts klar: „Geschichte erfahren – Die neue Welt. Auf den Spuren des Mountainbike-Sports unterwegs in Amerika.“ Und das beginnt mit der Ankunft im Wilden Westen.

Dienstag, 9. September 2014,Venice Beach, Kalifornien.

 

Am frühen Morgen mischt sich vor dem Hotelzimmer lautes Geschrei in das Heulen einer Polizeisirene und weckt uns unsanft aus dem Jetlag. Beim Blick aus dem Fenster werden wir Zeugen, wie ein Mann – offensichtlich nach einem Beziehungsstreit – festgenommen und abgeführt wird. Die Habseligkeiten seiner (Ex-) Partnerin liegen mitten auf der Straße. Willkommen im Wilden Westen, schneller hätte die Akklimatisierung für uns nicht laufen können.

Gegen 9 Uhr sitzen wir bereits auf den Rädern und fahren unserem neuen Abenteuer entgegen. Im Rucksack tragen wir eine von nur noch drei existierenden und wertvollen Hindenburg-Leicas mit uns. Das Schätzchen ist gut versichert und in einer speziell dafür angefertigten Ledertasche geschützt. Nach zehn Meilen ist der Leica Store in Hollywood unser erstes Ziel. Der Geschäftsführer James Agnew empfängt uns mit seinem Team und nimmt mit weißen Handschuhen das Prachtexemplar gebührend in Empfang. Für einige Stunden werden seine vorab ausgewählten Kunden das gute Stück inmitten einer Kombination aus Galerie und Store und der großen Auswahl an hessischer Fototechnologie mit Weltruf bewundern können.

Im deutschen Konsulat in Los Angeles erfahren die Biker viel über die Stadt

Um 14 Uhr geht es dann bei 35 Grad Celsius und strahlendem Sonnenschein weiter zum deutschen Konsulat, wo wir der Einladung des stellvertretenden Generalkonsuls von Los Angeles folgen. Mit seinen Mitarbeitern hat er uns schon im Vorfeld bei der Planung unterstützt. Genau wie seine Kollegen in San Francisco und New York. Den Weg ins diplomatische Corps vor Ort hatte uns der ehemalige deutsche Botschafter und gebürtige Hesse, Dr. Volker Stanzel, geebnet.

Stefan Biedermann erzählt uns engagiert von der noch vergleichsweise jungen Stadt, vom Leben, Wirken und Ansehen der Deutschen im ehemaligen Eldorado einiger Westernhelden. Noch heute wird in dieser Stadt mit starker ethnischer Mischung mehr spanisch als amerikanisch gesprochen. Vorwiegend kreative Menschen sind hier zu Hause und verbreiten mit ihrer Grundeinstellung spürbar eine positive Stimmung.

Nach New York existiert in Los Angeles die zweitgrößte jüdische Community in den USA. In mehren Auswanderungswellen (um 1845, Ende des 19. Jahrhunderts, während der Nazizeit, aber auch ab 1950) strömten viele Deutsche in die USA und nach Los Angeles, das außer Hollywood heute nur wenig zu bieten hat. Aber auch hier haben Deutsche, beispielsweise ein Carl Laemmle, „der Mann, der Hollywood erfand“, Geschichte geschrieben.

Wir erfahren, dass viele Deutsche während und nach den beiden Weltkriegen ihre Herkunft aus Furcht vor Nachteilen verheimlicht haben. Unabhängig davon sind bis heute viele Deutsche, wie zum Beispiel der Filmemacher Roland Emmerich, in Los Angeles sehr erfolgreich.

Die junge Geschichte der ehemaligen spanischen Missionsstation hatte lange Jahre außer Öl nichts vorzuweisen. Das ist heute anders: Extremer Reichtum prägt das Bild in den abgeschotteten Gated Communities. AMG, der deutsche Nobeltuner, verkauft hier mittlerweile mehr Fahrzeuge als in ganz Deutschland. In den meisten Vierteln lebt man unbeschwert und sicher.

Ganz anders sieht es da in Gangland aus, eine Gegend, die nicht unter Kontrolle ist und selbst mit Autos gemieden werden sollte. Auch wenn sich die Zahl der Morde in den letzten Jahren von durchschnittlich drei pro Tag auf „nur“ noch ein Mordopfer reduziert hat. Die Achillesferse der Stadt ist die Wasserversorgung. Riesige Pipelines versorgen seit mehr als 100 Jahren das mehr oder weniger wasserlose Gebiet. Genauso lange wartet man auf ein großes und längst fälliges Erdbeben.

Nach einem Gruppenfoto mit Stefan Biedermann und den Konsulatsangestellten machen wir uns wieder auf den Weg, um nicht in den Berufsverkehr zu geraten. Hier lauert für Radfahrer die größte Gefahr. Unfallflucht ist, so Stefan Biedermann, bei fast 50 Prozent der Verkehrsunfälle die traurige Realität, da die Flüchtigen entweder keine Papiere oder Angst vor den juristischen und damit in den USA erheblichen finanziellen Konsequenzen haben.

Kurz vor unserem Domizil, ereilt Jörg Krug der erste Plattfuß, den wir jedoch in wenigen Minuten beheben. Und so werden wir noch rechtzeitig auf dem 26 Meilen langen Fahrradweg entlang des Pazifischen Ozeans bei Venice Beach mit einem herrlichen Sonnenuntergang belohnt und lassen den Tag auf dem Sattel ausklingen.

– Lesen Sie morgen über eine Route, die kein Ende nimmt, über das größte und älteste Weingut im Napa Valley – natürlich gegründet von einem Hessen – und über einen Plattfuß nach dem anderen